Der Klimawandel ist allgegenwärtig, und er beeinflusst die tägliche Arbeit der Bäuerinnen und Bauern. Die langen Trockenphasen in den Jahren 2018 und 2019 sowie die monatelange Nässe im Herbst und Winter 2023/2024 stellen die Betriebe vor große Herausforderungen.
Die Landwirtschaft ist Teil des Problems, sie ist aber auch Teil der Lösung. Kein anderer Wirtschaftszweig hat größere Kohlenstoffsenken zu bieten. Der Boden ist der zweitgrößte Kohlenstoffspeicher nach den Ozeanen. Über 2 Mrd. t Kohlenstoff sind in den landwirtschaftlichen Böden Deutschlands gespeichert.
Experten fordern, dass die Landwirte Nachweise erbringen, wie sie ihre betriebliche Umweltbilanz verbessern. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn die große Herausforderung liegt derzeit in der korrekten Bilanzierung der Umweltauswirkungen. Welche Daten muss man erfassen? Wo finde ich belastbare Daten? Welche Vergleichswerte sind heranzuziehen? Welches Rechentool eignet sich für die Erstellung der eigenen Klimabilanz am besten?
Das Schlachtunternehmen Tönnies hat im November seine Idee für ein Berechnungsmodell vorgestellt. Der Grundgedanke dahinter: Über die Klimaplattform Fleisch wird anhand von einfachen Fragen der CO2-Fußabdruck pro kg Tier bzw. pro kg Fleisch ermittelt.
Doch reicht das, und was kommt künftig auf die Landwirte zu? SUS hat vier Experten gefragt.
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Jetzt Standards setzen!
Dr. Wilhelm Jaeger, Tönnies
Deutsche Bauern haben die Treibhausgasemissionen seit 1990 um mehr als 20 % gesenkt – und das trotz Ausweitung der Produktionsmenge! Dennoch kommt die Landwirtschaft – insbesondere die Fleisch- und Wurstproduktion – in der Klimadebatte nicht gut weg. Oft ist es eine ideologische Debatte.
Umso wichtiger wäre es, dass wir wieder zu einer faktenbasierten Auseinandersetzung kommen. Dazu gehört die Berechnung der Klima-Leistung. Die „Klimaplattform Fleisch“ soll dazu beitragen. Erzeuger können hier ihre betrieblichen Daten eingeben und erhalten eine Auswertung mit ihrem CO2-Fußbabdruck und daraus abgeleiteten Verbesserungspotenzialen.
Entscheidend ist, dass sich der Veredlungssektor auf einen gemeinsamen Kurs verständigt. Denn nur dann wird die Thematik händelbar und praxistauglich. Mit der Schaffung eines einheitlichen Branchenstandards leisten wir einen großen Beitrag zu einer klima- und tiergerechten Nutztierhaltung, einer nachhaltigen Lebensmittelkette und der Reduktion der Emissionen aus der Pflanzenproduktion und Tierhaltung. Wenn wir als Branche jetzt Standards definieren, haben wir die Chance, vor die Welle zu kommen.
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LEH prüft die Lieferanten
Martin Hofstetter, Greenpeace
Durch Umweltbilanzen werden Produktionsverfahren klimafreundlicher. Denn wer seinen ökologischen Fußabdruck und die Folgekosten kennt, kann seine Unternehmensstrategie anpassen. Dazu gehören die Optimierung der Stickstoffdüngung, Maßnahmen zur CO2-Speicherung, die eigene Stromproduktion usw. Potenzial bietet auch der Verzicht auf nicht entwaldungsfreies Soja oder auf Futter von entwässerten Moorböden.
Vor großen Herausforderungen steht der Fleischsektor. Tierisches Protein hat in puncto Nachhaltigkeit einen schwereren Stand als pflanzliches Protein. Selbst Geflügelfleisch erreicht kaum die günstigen „Umweltwerte“ von pflanzlichem Eiweiß. Das sollte den Fleischsektor ermutigen, jetzt nach neuen Lösungen zu suchen. Denn immer mehr Lebensmittelhersteller haben ehrgeizige Klimaziele und schauen dabei ganz genau auf die Umweltbilanzen ihrer Lieferanten.
Statt den Kopf in den Sand zu stecken, sollte die Fleischbranche eine nachvollziehbare Umweltbilanz erarbeiten, Ergebnisse offen kommunizieren und den Anteil klimaschonender (pflanzlicher) Rohwaren ausbauen. Wer das nicht tut, wird sehr bald unter enormen Druck geraten.
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Keine Insellösungen
Annika Frank, LWK Nordrhein-Westfalen
Bei der Erstellung von Umweltbilanzen stehen wir noch ganz am Anfang. Als Branche haben wir deshalb jetzt die Chance, ein einheitliches Bewertungssystem zu erarbeiten. Was wir auf keinen Fall brauchen, sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Lösungen.
Klären müssen wir jetzt, wer für die eingegebenen Daten verantwortlich ist. Ich halte es für wichtig, dass geschulte Berater die Landwirte unterstützen. Das erhöht die Datensicherheit. Die Daten sollten auf jeden Fall dem Landwirt gehören. Er muss entscheiden, wer Zugriff darauf hat. Um Unterschiede zwischen Betrieben und/oder Produktionsverfahren abbilden und Optimierungspotenziale nutzen zu können, brauchen wir individuelle Betriebsdaten. Durchschnitts- oder Pauschalwerte helfen uns nicht weiter!
In der Umweltbilanz müssen alle wichtigen Einflussgrößen berücksichtigt werden – nicht nur die Herkunft des Sojaschrotes. Das Bilanzierungssystem muss offen sein! Neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen sofort übernommen werden können. Starten sollten wir mit Pilotbetrieben. So bekommen wir ein Gefühl dafür, wie die Bilanzierung dauerhaft aussehen kann.
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Umweltbilanz kann Mehrwert bringen
Jörn Ehlers, Landvolk Niedersachsen
Die Landwirtschaft verursacht Treibhausgasemissionen und sie trifft der Klimawandel. Bauern sind zugleich aber auch Spitzenreiter bei der CO2-Bindung. Wir bringen uns ein, weil wir Verantwortung übernehmen wollen und wir davon profitieren. Zum Beispiel durch Einsparungen bei der Fütterung und dem Energieverbrauch.
Entscheidend für die breite Akzeptanz der betriebsindividuellen Treibhausgasbilanz ist aber die Frage: Erziele ich mit einer besonders guten Klimabilanz einen höheren Erlös am Markt, oder sichere ich dadurch lediglich meinen Zugang zu meinen Märkten?
Die Akzeptanz hängt zudem stark davon ab, wie einfach die Umweltbilanz erstellt werden kann. Wir Landwirte müssen bereits diversen Meldeverpflichtungen nachkommen und in unterschiedlichen Systemen unsere Daten eingeben. Da kann ein zusätzlicher Dokumentationsaufwand, auch wenn dieser (bisher) freiwillig ist und dem Betrieb einen Mehrwert bringen kann, schnell abschreckend wirken. Eine Umweltbilanz sollte künftig in bestehenden Datenbanken und Programmen erstellt werden können.