Entwurf zur Haltungskennzeichnung kommt nicht gut an

Die Agrarverbände äußern teils scharfe Kritik an Özdemirs Entwurf für eine Haltungskennzeichnung.

Mit teilweise harscher Kritik ist der Referentenentwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums für ein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz in der Landwirtschaft aufgenommen worden. Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht sich zwar in seiner Forderung bestätigt, ein verbindliches Haltungskennzeichen auf den Weg zu bringen. Die Vorlage sei jedoch „zu kurz gesprungen, für die Landwirte unnötig bürokratisch und für die nachfolgenden Stufen mit großen Schlupflöchern und Kontrolldefiziten versehen“, beklagte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. Er bemängelte insbesondere, dass ein verbindlicher Fahrplan für die notwendigen Schritte fehle, um weitere Bereiche einzubeziehen und so zu einer umfänglichen Tierhaltungskennzeichnung zu kommen.

Der Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums orientiert sich an den Eckpunkten, die Ressortchef Cem Özdemir Anfang Juni vorgestellt hat. Danach sollen Lebensmittel tierischen Ursprungs künftig verpflichtend gekennzeichnet werden, wenn die Tiere in Deutschland gehalten wurden und die Lebensmittel in Deutschland an Endverbraucher verkauft werden. Die Kennzeichnung soll laut Entwurf zunächst für frisches Schweinefleisch vorgeschrieben werden, das über den Lebensmitteleinzelhandel, Fleischereifachgeschäfte und den Onlinehandel vermarktet wird. Erst einmal außen vor bleibt damit die Außer-Haus-Verpflegung. Diese soll nach einer Aussage von Özdemir in einem späteren Schritt einbezogen werden, ebenso wie die Kennzeichnung für weitere Tierarten wie Rinder, Milchvieh und Geflügel. Importe sollen sich laut dem Referentenentwurf freiwillig dem deutschen Kennzeichnungssystem unterwerfen können; verpflichtend soll es für sie jedoch nicht werden.

Der Referentenentwurf ist inzwischen an die Länder und Verbände verschickt worden. Bis wann die Ressortabstimmung abgeschlossen sein soll, ist offen. Im Herbst soll der Gesetzentwurf in erster Lesung im Bundestag beraten werden. Ein Gesetzesbeschluss wird für die erste Jahreshälfte 2023 angestrebt.

DBV-Generalsekretär Krüsken monierte erneut, dass lediglich die Mast maßgeblich für die Haltungskennzeichnung sein solle. Daraus resultiere ein immenses Glaubwürdigkeitsproblem. Beispielsweise könne Fleisch von Tieren in einer hohen Haltungsstufe gekennzeichnet werden, die als Ferkel außerhalb von Deutschland betäubungslos kastriert und anschließend importiert worden seien. Krüsken zufolge ist der Entwurf für Tierhalter zudem mit einem erheblichen zusätzlichen bürokratischen Aufwand verbunden. So sei die Einführung eines zusätzlichen eigenen Registers für landwirtschaftliche Betriebe weder notwendig noch sachgerecht. Unverständlich ist für den Generalsekretär auch, warum nicht auf das bestehende System der Nummern in der Viehverkehrsverordnung (VVVO) zurückgegriffen werde. Die geplanten Aufzeichnungspflichten belasteten die Betriebe mit zusätzlicher Bürokratie. Sie seien zudem überflüssig, weil die geforderten Daten ohnehin in der Datenbank zum Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere (HIT) vorlägen und für die Haltungskennzeichnung genutzt werden könnten.

Demgegenüber gebe es kein belastbares Kontrollkonzept und keine Kontrollsystematik für die nachgelagerten Stufen und für ausländische Betriebe. Krüsken befürchtet, dass dort Manipulationen sehr einfach möglich sein werden. Regelrecht zum Schummeln lade die geplante Vermischungsregelung für Verarbeitungserzeugnisse ein. Konsistente und aufeinander abgestimmte Kontrollen zwischen den unterschiedlichen Ebenen seien so nicht zu erreichen. Für den DBV-Generalsekretär ist nicht nachvollziehbar, dass nicht auf bestehende Kontrollsysteme wie das der Initiative Tierwohl (ITW) zurückgegriffen werden soll. Schließlich bieten Krüsken zufolge die vorgesehenen Regelungen für eine freiwillige Kennzeichnung große Schlupflöcher für Verarbeiter, die sich der Kennzeichnung entziehen wollen, beispielsweise indem sie einen Verarbeitungsschritt ins europäische Ausland verlagern. Umgehungsmöglichkeiten seien auch angesichts unzureichender Kontrollen Tür und Tor geöffnet.

Der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN), Dr. Torsten Staack, machte die Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit am Beispiel der vorgesehenen Regelungen für den Umgang mit nicht gekennzeichneter Ware, also EU-Ware, deutlich. Laut ISN verhandeln Aldi „und die Nachahmer im deutschen Lebensmitteleinzelhandel“ schon jetzt beim Basispreis für Schweinefleischprodukte auf Weltmarktpreisniveau. Deutsche Schweinehalter könnten jedoch nicht einmal auf europäischem Preisniveau produzieren. Mit der nicht gekennzeichneten EU-Ware und den möglicherweise erheblichen nicht kennzeichnungspflichtigen Anteilen in gekennzeichneten Fleisch- und Wurstwaren könne der Basispreis vom Handel dann zukünftig „munter weiter gedrückt“ werden. „Wie sollen sich für Schweinehalter dann akzeptable Preise oder gewinnbringende Erlöse erzielen lassen“, fragt Staack.

Zwar sei gegen temporäre verkaufsfördernde Preisaktionen im Lebensmitteleinzelhandel nichts zu sagen. Wenn jedoch der Handel trotz Haltungskennzeichnung einen Freifahrtschein bekomme, mit EU-Ware Druck auf die Basisnotierung auszuüben, sei das ein Schlag in das Gesicht der deutschen Schweinehalter. Der ISN-Geschäftsführer forderte Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir dazu auf, diese Probleme nicht zu ignorieren und die Schlupflöcher zu schließen.


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