Tierwohlfleisch bereitet zusehends Sorge: Der Absatz von Fleisch aus höheren Haltungsstufen kommt nicht in Schwung und viele Verbraucher greifen angesichts leerer Haushaltskassen lieber zum Standardschnitzel. Der Handel hält sich bedeckt bzw. setzt auf Alternativen. Lidl zum Beispiel will künftig mehr pflanzliche Proteine ins Regal legen. Aldi zieht nach.
Auch in der Branche herrscht große Verunsicherung darüber, wie sich der Markt entwickelt. Vion teilt mit, dass man bestehende Tierwohl-Verträge nicht mehr per se verlängert. Andere Schwergewichte in der Szene halten sich ebenfalls zurück. Tierwohl-Schweine – egal aus welcher Haltungsformstufe – scheinen nicht mehr willkommen zu sein.
Die Schweinehalter wissen derzeit nicht, wie ihnen der höhere Aufwand vergütet wird. Im nächsten Jahr fällt der feste ITW-Bonus von 5,28 € je Tier weg. Künftig muss jeder Bauer den Bonus mit seinem Vermarkter frei aushandeln. Viele befürchten, dass der Zuschlag bei anhaltendem Marktdruck deutlich niedriger ausfällt.
Wenig vertrauenserweckend scheint auch das Bundesförderprogramm zum staatlichen Tierwohllabel zu sein. Experten bemängeln unter anderem, dass die Kosten schön gerechnet wurden.
Wird Tierwohlfleisch künftig zum Auslaufmodell? Wir haben vier Experten dazu befragt.
Dringend neu rechnen!
Wilfried Brede, Serviceteam Alsfeld
Mehr Tierwohl kostet Geld und die Umstellung muss finanziell gefördert werden. Das weiß auch das BMEL, dass das „Bundesprogramm zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung“ aufgelegt hat.
Was gut gemeint ist, ist aber noch nicht gut gerechnet! In folgenden Punkten müssen die Berechnungen des Thünen-Instituts überarbeitet werden:
- Die Berechnungen wurden auf Basis von Neubauten vorgenommen. Es fehlt die Bewertung der dann möglicherweise leer stehenden und ggf. noch nicht abgeschriebene Altgebäude.
- Die Investitionskosten sind zu gering angesetzt.
- Wichtige Kostenblöcke fehlen. Muss die Anlage nach BimSchG genehmigt werden, ist eine Abluftreinigung Pflicht. Im Förderprogramm werden weder die Investitions-, noch die laufenden Kosten aufgeführt
- Die Lohnansätze sind zu gering. 14 € für eine Aushilfskraft oder rund 21 € für Familienangehörige passen nicht. Zudem sind in der Betrachtung die vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialleistungen und eventuelle Nebenleistungen nicht berücksichtigt.
Höhere Tierwohlstandards setzen sich in der Fläche nur durch, wenn der Umbau mit realistischen Annahmen gefördert wird.
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Umbau wäre zu riskant
Jörg Kramm, Schweinemäster
Ich stehe höheren Tierwohlstandards offen gegenüber. Wenn die Gesellschaft das ernsthaft will, bin ich dabei. Voraussetzung ist aber, dass die Rahmenbedingungen für mich als landwirtschaftlicher Unternehmer passen!
Mein Sohn und ich stehen in unserem Schweinemastbetrieb gerade vor der Entscheidung, wie wir unseren rund 20 Jahre alten Schweinemaststall renovieren. Bleiben wir bei dem jetzigen ITW-Standard, oder wechseln wir zur Haltungsformstufe 3 oder 4?
Die Entscheidung können mein Sohn und ich erst fällen, wenn wir wissen, womit wir in Zukunft rechnen können. Derzeit weiß ich das nicht! Und es sieht auch nicht danach aus, dass ich das in absehbarer Zeit erfahre. Die Bundesregierung eiert in der Frage, wie wir in Zukunft Schweine halten sollen, weiter rum. Es gibt weder ein schlüssiges Konzept, noch ist ausreichend Fördergeld da.
Die größte Sorge bereitet mir aber die hohe Inflation. Wenn der Verbraucher dauerhaft weniger Geld im Portemonnaie hat, bleibt die Nachfrage nach Tierwohlfleisch ein Sorgenkind.
Wir tendieren derzeit dazu, unseren Stall erst einmal auf ITW-Standard weiter zu betreiben. Das ist für uns die sicherste Lösung.
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Wir brauchen trendige Produktneuheiten
Heiko Plate, VzF GmbH Uelzen
Preiswert, aus Außenklimahaltung, regional, bio, 5 x D, besonders schmackhaft – beim Schweinefleischkonsum sind die Verbraucherwünsche in Deutschland differenziert wie nie. Wir als Wertschöpfungskette Fleisch sollten das nutzen und alle Wünsche bedienen.
Tierwohlfleisch hat aber nur eine Chance, wenn sich neben dem LEH auch die Gastronomie und die Großverbraucher mehrheitlich zum Tierwohl-Schnitzel bekennen.
Zudem braucht es einen wirksamen Außenschutz. Ausländische Produzenten dürfen unseren Markt nicht mit günstigerer Importware unterlaufen.
Und es braucht Kreativität unsererseits! Wir als Branche müssen endlich neue Schweinefleischprodukte entwickeln, die vor allem junge Menschen ansprechen. Diese müssen trendy und leicht zu verarbeiten sein. Wir brauchen z. B. Porky-Wings und Piggy-Nuggets für unterwegs!
Als hilfreich sehe ich bei der Vermarktung von Tierwohlfleisch vertragliche Bindungen. Sie bieten Planungssicherheit und können beidseitig gekündigt werden. Zum Beispiel wenn der künftig frei auszuhandelnde ITW-Bonus nicht passt.
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Mehr Tierwohl und pflanzliche Proteine
Alexander Liedke, Lidl in Deutschland
Bei Lidl in Deutschland setzen wir auch in Zukunft auf höhere Tierwohlstandards. Als Partner der heimischen Landwirtschaft werden wir gemeinsam mit den Teilnehmern der Wertschöpfungskette Fleisch unser Sortiment hinsichtlich der Tierwohlbedingungen kontinuierlich und zielgerichtet weiterentwickeln.
Bei Schweinefrischfleisch sind wir in den letzten Jahren bereits ein großes Stück vorangekommen. So haben wir mittlerweile vollständig mindestens auf Haltungsformstufe 2 umgestellt. Die Rohstoffe für die verschiedenen Produkte beziehen wir aus Deutschland.
Parallel dazu bauen wir unser Angebot an pflanzenbasierten Proteinquellen aus, wie zum Beispiel Hülsenfrüchten, Nüssen und veganen Alternativen. Wir wollen den Anteil bis zum Jahr 2030 von aktuell 11 auf 20 % erhöhen.
Damit werden wir negative ökologische und soziale Auswirkungen in den Lieferketten der Rohstoffe reduzieren.
Letztlich bieten wir unseren Kunden durch das Angebot von Fleisch aus einer Produktion mit mehr Tierwohl und pflanzenbasierten Proteinquellen die Möglichkeit eines nachhaltigen Konsums.
SUS 6/2023