Aldi will bis 2030 auch bei Fleisch- und Wurstwaren vollständig auf Ware aus den Haltungsformstufen (HF) 3 und 4 umsteigen. Das gilt für Schwein, Rind, Hähnchen und Pute. Gleichzeitig hat der Essener Konzern angekündigt, den Anteil deutscher Ware im Sortiment auszubauen. Ob Aldi im Fleischeinkauf künftig zu 100 % auf 5 x D setzt und damit auch die deutschen Sauenhalter unterstützt, bleibt ein Geheimnis.
Aldi betont die große Bedeutung der Fleisch- und Wurstwaren für den Umbau der Nutztierhaltung. Nur wenn man mit Tierwohlfleisch über die Warengruppe Frischfleisch hinausgeht und das Angebot weiter ausdehnt, könne der Umbau finanziert werden, heißt es dazu. Aldi selbst profitiert vom Ausbau des Warenangebots bei HF 3- und 4-Fleisch, weil der Discounter die Mehrkosten auf mehr Teile vom Schwein umlegen kann.
Und die Bauern? Noch sind viele skeptisch, welches Stück vom Kuchen sie erhalten und ob der LEH wirklich deutsches Tierwohlfleisch zuerst ordert. Wohlwollende Ankündigungen seitens des Handels hat es schließlich schon zuhauf gegeben. Die Konzerne haben aber immer auch darauf geachtet, dass die ein oder andere Hintertür offen bleibt. Man weiß ja nie, ob sich der Markt plötzlich um 180 Grad dreht.
Diskussionsbedarf ist also weiterhin gegeben. SUS hat vier Experten um ihre Einschätzung gebeten.
-------------------------
Eine Notierung für jede Haltungsform
Lukas Weßling, Schweinemäster
Ich begrüße den Schritt von Aldi, bei Fleisch- und Wurstwaren auf Haltungsform 3 und 4 umzustellen. Was mir noch fehlt, ist das klare Bekenntnis zu heimischer Ware. Zudem muss Aldi den Bauern ein Konzept für eine langfristige Zusammenarbeit vorlegen. Mein im Sommer auslaufender Tierwohlvertrag mit Tönnies/Aldi wurde bis dato nicht verlängert.
Die Zusammenarbeit habe ich in der Vergangenheit aber als sehr positiv empfunden. Alle Absprachen wurden eingehalten und jedes Schwein abgenommen.
Diskutieren müssen wir über die künftige Preisgestaltung. Mein Festpreis von 2,10 € wurde selbst bei einer VEZG-Notierung von nur 1,19 € nicht angetastet. Das Gleiche gilt aber auch in der jetzigen Hochpreisphase.
Damit sich Tierwohl für den Landwirt lohnt, brauchen wir neben der Planungssicherheit flexiblere Abrechnungsmodelle. Der jetzige Festpreis von 2,10 € deckt die Mehrkosten von ca. 60 € pro Tier in Haltungsform 4 nicht ab.
Für die Zukunft wünsche ich mir eine haltungsform-abhängige Notierung, bei der die tatsächlichen Produktionskosten berücksichtigt und wenn nötig eingepreist werden.
-------------------------------
Tierwohlware: Herkunft ist für uns relevant
Dr. Julia Adou, Aldi-Süd
Fast die Hälfte des jährlichen Fleischkonsums in Deutschland entfällt auf Fleisch- und Wurstwaren. Ohne diesen wichtigen Absatzkanal wird der Umbau der Nutztierhaltung unserer Einschätzung nach nicht gelingen. Zudem kommt Aldi mit seinem Schritt, zusätzliche Absatzkanäle für Tierwohlfleisch aufzubauen, dem Wunsch der Landwirtschaft nach.
Dass die Nachfrage nach Tierwohlware vorhanden ist, zeigen unsere Zahlen: Insgesamt entwickelt sich der Fleischabsatz mit Artikeln aus höheren Haltungsformen positiv. Aldi macht bereits 20 % des Frischfleischumsatzes mit Artikeln aus den Haltungsformen 3 und 4. Bei Trinkmilch sind es bereits über 45 %.
Aus unserer Sicht ist für den langfristigen Erfolg des Projektes die Herkunft des Fleisches relevant. Aldi setzt auf deutsche Ware!
Bereits jetzt stammen über 90 % der verkauften Frischfleischprodukte von Lieferanten und Erzeugern aus Deutschland.
Diesen Ansatz werden wir auch in Zukunft konsequent weiterverfolgen. Seit dem vierten Quartal 2022 haben wir zudem bei konventionellem Schweinefrischfleisch komplett auf 5 x D umgestellt.
--------------------------------------
Aldi und Co. müssen klare Ziele setzen
Prof. Dr. Achim Spiller, Uni Göttingen
Beim Fleischeinkauf werden wir künftig zwei Strömungen sehen: Wenn das Warenangebot in den Haltungsstufen 3 und 4 wächst, steigt ein Teil der Kunden auf Tierwohlfleisch um. Der andere Teil isst kein Schwein mehr. Das hat mit Tierethik, mit Migration bzw. religiösen Fragen zu tun.
Um die tierwohlaffinen Fleischesser zu halten und ihnen mehr Tierwohlfleisch anbieten zu können, müssen die dominierenden Unternehmen der Fleischkette für klare Ziele sorgen. Denn betriebswirtschaftlich gibt es kaum etwas unangenehmeres, als in einen schrumpfenden Markt zu investieren, bei dem nicht klar ist, wohin die Reise geht.
Aldi ist jetzt einen weiteren Schritt gegangen. Das ist gerade in Zeiten hoher Inflationen wichtig, denn von den Verbrauchern gehen nur wenige Impulse aus.
Lidl und Rewe ziehen hoffentlich nach. Edeka, die über große Fleischwerke verfügt, bleibt ein Wackelkandidat. Die Wurstindustrie mit Tönnies als Marktführer, die großen Fastfood-Ketten und Cateringunternehmen ducken sich ebenfalls weg. Sie alle sollten sich in einer Selbstverpflichtung zur Finanzierung von mehr Tierwohl bekennen.
------------------------------------
Nicht auf die staatliche Kennzeichnung warten!
Paul Hegemann, BRS Bonn
Aldis Ankündigung interpretiere ich nicht nur als klares Bekenntnis für die Empfehlungen der „Borchert-Kommission“. Aldi setzt augenscheinlich auch in Zukunft auf ein bewährtes und privatwirtschaftlich funktionierendes Kriterien- und Kontrollsystem, das die gesamte Kette von der Geburt bis zur Mast abdecken kann und bei der die Landwirte mindestens ein Mal jährlich kontrolliert werden.
Damit auch die Schweinehalter Aldis Vorstoß gutheißen können, muss der Discounter an den folgenden Stellen nachbessern:
Klares Bekenntnis zu Schweinefleisch aus Deutschland.
Klares Statement zur deutschen Sauenhaltung.
Gleichmäßige Verteilung des finanziellen Risikos. Durch den Wechsel vom Fonds- zum Marktmodell sind die Risiken derzeit ungleich verteilt. Mästern kann je nach Marktlage jederzeit gekündigt werden.
Langfristige Finanzierungszusagen bei Investitionen in die Haltungsformen 3 und 4.
Wir Bauern indes tun gut daran, mit Aldi ins Gespräch zu kommen. Denn ohne den LEH bzw. die Discounter wird es künftig nicht mehr Tierwohlware in der Fleischtheke geben.