Unsere Autorinnen: Anna Farwick, ISN-Projekt GmbH, Jana Friederichs, Förderverein Bioökonomieforschung e. V.
Während der Kupierverzicht in Deutschland kontrovers diskutiert wird, blicken die Schweden mit der berühmten skandinavischen Gelassenheit auf dieses Thema. Denn das Land zählt zu den wenigen EU-Staaten, in denen das Kupieren bereits seit Jahrzehnten verboten ist und ausnahmslos umgesetzt wird.
Fazit
- In Schweden wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr kupiert.
- Die Herden sind oft hochgesund. Dies ist auch auf die geringe Schweinedichte zurückzuführen.
- Die schwedische Standardbucht ist klar strukturiert, bietet viel Platz und Festfläche sowie ein Tier-Fressplatzverhältnis von 1 : 1.
- Einige Schweinebetriebe liegen bei unter 1 % Schwanzverletzungen.
- Die Verbraucher unterstützen die Tierwohlhaltung.
In den Audits der EU-Kommission wird Schweden deshalb oft als Vorbild für andere Länder genannt. Doch wie gehen die Nordeuropäer die Haltung unkupierter Tiere an und was lässt sich auf unsere Schweinehaltung übertragen? Mit diesen und weiteren Fragen im Gepäck hat sich eine Expertengruppe im Rahmen des Projektes „Nationales Wissensnetzwerk Kupierverzicht“ auf den Weg gemacht und drei schwedische Betriebe besucht.
Langtrog in der Abferkelbox
Als erstes steuerten die Experten den Betrieb von Kristina und Niklas Johansson an. Das Ehepaar hält 720 Sauen und gibt die Ferkel als 30 kg-Läufer an einen Freilandmastbetrieb ab. Mit 31,4 verkauften Ferkeln je Sau und Jahr zählt man zu den Spitzenbetrieben des Landes.
Beim Stallrundgang fiel schnell auf, dass die Sauen sehr entspannt auf fremde Personen reagieren – und das trotz oder gerade wegen der fehlenden Fixierung. Denn die Johanssons setzen die Sauen zu keinem Zeitpunkt fest. Ganz ohne Schutzvorkehrungen für die Ferkel geht es aber im Abferkelstall nicht.
Um das Erdrückungsrisiko zu senken, sind an den Wänden der ca. 6 m² großen Buchten Abrollbügel angebracht. Zudem ist das Ferkelnest vom Bewegungsraum der Sau abgetrennt und abgedeckt. Bei der Ausstattung sticht auch der rund zwei Meter lange Bodentrog ins Auge, den sich Sau und Ferkel teilen. „Die Jungtiere fangen früh an, bei der Sau mitzufressen und werden so kontinuierlich an die selbstständige Futter- und Wasseraufnahme herangeführt“, erklärt Niklas Johansson.
Kaum Nekrosen
Obwohl die Gesetzgebung nur vier Wochen Säugezeit vorschreibt, sind die Johanssons wie viele Ferkelerzeuger in Schweden dazu übergegangen, die Ferkel fünf Wochen bei der Sau zu lassen. „Die Erfahrung zeigt, dass sich die längere Säugezeit positiv auf die Robustheit auswirkt und wir in dieser empfindlichen Altersphase kaum Krankheitsprobleme haben“, so das Betriebsleiterehepaar.
Der gute Gesundheitsstatus spiegelte sich auch darin wieder, dass die Experten bei den unkupierten Ferkeln kaum auffällige Tiersignale, wie gestaute Ohrvenen oder Schwanz- und Zitzennekrosen, ausmachen konnten. Demzufolge war das eng mit dem Auftreten von Schwanzbeißen verbundene Entzündungs- und Nekrosensyndrom (SINS) nur bei Einzeltieren ausgeprägt. Selbst in der Aufzucht wurden zwar Einzeltiere mit Längenverlusten an den Schwänzen entdeckt, es gab aber kein aktives Beißgeschehen.
Einheitliches Buchtendesign
Als nächstes wurde Pär Jacobson besucht. Der führt einen Mastbetrieb mit 1.700 Plätzen und legt viel Wert auf einheitliche Strukturen. So hat er seine Ställe zwar zeitversetzt voneinander errichtet, sie aber alle identisch ausgebaut. Vollspaltenböden sind in Schweden verboten, weshalb sich seine Mastbuchten durch eine rechteckige, planbefestigte Fläche auszeichnen, die er mit einer dünnen Strohschicht einstreut. Gangseitig ist auf der Festfläche ein Langtrog gesetzt, während sich auf der anderen Buchtenseite ein kleiner, perforierter Bereich mit Kontaktgitter zur Nachbarbucht anschließt.
Der Mäster bietet den sechs bis sieben Schweinen pro Bucht viel Platz an. „Im Vergleich zu Deutschland liegen unsere Vorgaben je nach Gewichtsklasse um 30 bis 60 % höher. Bereits zu Aufzuchtbeginn müssen wir z. B. für jedes Tier 0,49 m² vorhalten“, erläutert Jacobson.
Gute Stallluft
Ebenfalls sehr positiv wahrgenommen wurde die Luftqualität im Stall. Nur vereinzelt bemerkten die Besucher Schweine mit leichten Atemwegsproblemen. Tiere mit Tränenspuren, die oft auf eine hohe Schadgasbelastung hinweisen, wurden keine gesehen. Pär Jacobson zufolge ist das zum einen auf das großzügig dimensionierte und leistungsstarke Lüftungssystem zurückzuführen. Zum anderen sind wegen der Einstreu im Güllekeller Unterflurschieber installiert. Die laufen vollautomatisch und schieben in regelmäßigen Abständen die festen Bestandteile ab.
Der Landwirt scheut auch wenig Mühen, um den Stall kühl zu halten. Denn heiße Sommertage mit Temperaturen von über 30 Grad Celsius sind selbst im hohen Norden keine Seltenheit mehr. Bei intensiver Sonneneinstrahlung verkleidet er die Fenster mit Lochpappen und stündlich befeuchtet für zwei Minuten eine Sprinkleranlage den Kotbereich. „Die Tiere können sich abkühlen und der nasse Spaltenboden animiert sie dazu, hier und nicht auf der Festfläche zu koten bzw. urinieren“, erklärt Jacobson.
Niedrige Schweinedichte
Wie bei den Johanssons machen auch seine Tiere einen sehr gesunden Eindruck und Schwanzbeißen scheint die absolute Ausnahme zu sein. „Maximal zwei Prozent unserer Schweine kommen mit einem lädierten Ringelschwanz am Schlachthof an“, so Pär Jacobson.
In puncto Gesundheitsstatus profitieren er und die anderen Höfe sicherlich davon, dass das Land mit einer Fläche von knapp 530.000 km² und 1.200 Schweinehaltern als schweinearm bezeichnet werden kann. Zwar ist ein Großteil des Bestandes im Süden des Landes angesiedelt. Intensivregionen, wie man sie aus Deutschland oder den Niederlanden kennt, gibt es aber nicht.
Daher verwundert es wenig, dass das Land frei von PRRS ist. Damit das so bleibt, darf Ebersperma nur mit einer PRRS-Zertifizierung importiert werden. Zudem hat lediglich das Nachbarland Norwegen die Erlaubnis, lebende Schweine nach Schweden zu verbringen.
Stroh und Torf als Einstreu
Eine noch bessere Ringelschwanzquote als Jacobson liefert sein Landsmann Peter Eriksson. Auf dessen Kombibetrieb mit 550 Sauen und 2.800 Mastschweinen treten nach eigenen Aussagen bei weniger als ein Prozent der Tiere Schwanzverletzungen auf. „Der Kupierverzicht hat bei uns Tradition. Auch vor dem offiziellen Verbot 1986 gab es nur wenige Berufskollegen, die kupiert haben“, so der erfahrene Schweinehalter.
Beim Blick hinter die Kulissen wird deutlich, dass die fast identischen Mastbuchten von Jacobson und Eriksson so etwas wie den schwedischen Standard darstellen. Klare Funktionsbereiche, viel Platz, ein Tier-Fressplatz-Verhältnis von 1 : 1 und große Festflächen mit Minimaleinstreu. Zweimal täglich bringt Eriksson eine kleine Menge der Einstreu per Hand auf den Liegebereich aus. Dabei mischt er anders als Jacobson dem Stroh noch etwas Torf bei. Der Praktiker verspricht sich davon positive Effekte auf die Magen-Darm-Gesundheit.
Das tägliche Einstreuen wird auch zur Tierkontrolle genutzt. „Normalerweise stehen die Schweine sofort auf und beschäftigen sich mit der frischen Einstreu. Reagiert eines der Tiere nicht auf das frische Material, ist wahrscheinlich etwas nicht in Ordnung“, erklärt er. Abgesehen von der Einstreu verzichtet er, wie die beiden anderen Betriebe auch, auf organisches Beschäftigungsmaterial.
Aufwand wird honoriert
Einen etwas besonderen Weg geht Eriksson bei der Genetik. Wie viele schwedische Ferkelerzeuger setzt er zwar Topigs TN 70 aus Norwegen ein. Anders als auch Johansson und Jacobson belegt er diese aber nicht mit Sperma von Hampshire-, sondern Duroc-Ebern. Das ist deshalb ungewöhnlich, weil die Zucht von Hampshires als Vaterrasse im Land eine lange Historie hat und deshalb von den Schlachtern und Vermarktern oft bevorzugt, teils klar gefordert wird.
Und im Absatzmarkt selbst liegt noch ein weiterer Erfolgsfaktor der schwedischen Ringelschwanzhaltung. Denn die Skandinavier sind stolz auf ihre Schweinehaltung und ihre hohen Tierwohlstandards. In den Supermärkten wird heimisches Fleisch stark beworben und gerne gekauft. Dadurch ist letztlich gewährleistet, dass die Betriebe ihren großen Aufwand entsprechend bezahlt bekommen.
Lesen Sie zum Thema Kupierverzicht auch den Beitrag in der SUS 5/23 ab Seite 10.
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Videoreportage
Alle Stationen der Reise hat das Nationale Wissensnetzwerk Kupierverzicht filmisch begleitet und als dreiteilige Videoreportage veröffentlicht. Die Filme finden Sie unter: www.ringelschwanz.info/videos
Die Projektförderung erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Projektträger ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Förderkennzeichen «2818MDT520».